Britta Kellermann: Rede zum russischen Einfluss auf die Brennelementefertigung in Lingen (Akt. Stunde GRÜNE)

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Rede TOP 20a: Keine Geschäfte mit Putin – russischen Einfluss auf die Brennelementefabrik in Lingen abwenden (Akt. Std. Grüne)

- Es gilt das gesprochene Wort -

Anrede,

im niedersächsischen Lingen betreibt das französische Unternehmen ANF eine Brennelementefabrik. Es ist schon mal per se unbegreiflich, dass diese Fabrik vom Atomausstieg ausgenommen wurde. In der aktuellen geopolitischen Situation ist der Genehmigungsantrag, der jetzt beim Niedersächsischen Umweltministerium liegt, allerdings noch viel weniger nachzuvollziehen.

Der ANF-Mutterkonzern Framatome ist kürzlich ein Joint Venture mit dem russischen Konzern TWEL eingegangen. Das Mutterunternehmen wiederum ist der russische Staatskonzern Rosatom. Es handelt sich um den Staatskonzern, der in Putins Auftrag das größte europäische AKW übernommen hat. Und zwar im umkämpften ukrainischen Saporischschja. Gegen den Willen der Ukraine. Der Kreml nimmt hier direkten Einfluss auf operationale Entscheidungen des Unternehmens. Und nicht nur das: Der Konzern wurde im Jahr 2007 durch ein Präsidenten-Dekret von Wladimir Putin persönlich gegründet.

Und dieser Staatskonzern hat sich nun also bereit erklärt, sein Wissen um die Fertigung von Brennelementen russischer Bauart mit ANF zu teilen. Und das, obwohl die osteuropäischen Staaten Bulgarien, Ungarn, Slowakei und Tschechien zu 100% und Finnland zu 35% von russischen Brennelementen abhängig sind. Warum gibt man eine solche Marktdominanz einfach auf? Diese Frage bleibt unbeantwortet.

Und wir halten es dennoch für wichtig, sie zu stellen.

Denn, der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat uns in Europa unsere energiewirtschaftliche Abhängigkeit von Russland vor Augen geführt. Deutschland und Europa haben seit Beginn des Krieges erhebliche Anstrengungen unternommen, um Europa unabhängig von russischem Gas zu machen. Wir alle haben die wirtschaftlichen Folgen dieser Bemühungen gespürt und mitgetragen.

Durch eine Gas- und Strompreisbremse konnten die Auswirkungen für die Verbraucher*innen auf einem erträglichen Niveau gehalten werden. Dass die Energiepreise sich heute wieder einigermaßen stabilisieren ist ein großer Erfolg des Bundeswirtschaftsministeriums unter Minister Habeck.

Trotzdem spielt Russland weiterhin eine bedeutende Rolle in der europäischen Energieversorgung. Rund 20% des Urans für Betreiber aus Euratom Staaten kommt aus Russland. Rund 26% der Urananreicherungsdienstleistungen deckt Rosatom in der EU ab. 21 Kernreaktoren in der EU versorgt Rosatom mit Brennelementen. 24 AKW russischer Bauart befinden sich weltweit im Neubau. Davon nur vier in Russland selbst. Russland bietet den außereuropäischen Staaten außerdem die Rücknahme des abgebrannten Brennstoffs an. Das Verhalten des Konzerns ist auf aggressive Weise darauf ausgerichtet, die Welt abhängig von russischem Uran zu machen. Mit Erfolg. Denn neben China ist Russland in den letzten 10 Jahren zum größten Akteur der weltweiten Atomindustrie geworden.

Es ist naiv zu glauben, durch die Betätigung dieses Joint Ventures könne der Osten Europas sich unabhängig von der russischen Atomindustrie machen. Das Gegenteil ist der Fall. Der russische Staat weitet seine Dominanz durch diesen Schritt nur weiter aus. Die Brennelementefabrik in Lingen hat in der Vergangenheit Uran aus Russland und dem kremlnahen Kasachstan bezogen. Die ANF räumte im Umweltausschuss der Stadt Lingen ein, ich zitiere aus dem Protokoll „diese beiden Länder versorgen etwa 40 % des Weltmarktes. Das heiße aber auch, dass sich Westeuropa und auch die USA heute nicht von diesem Markt trennen könnten.“

Wir halten es auch deshalb für angebracht, die Frage nach der russischen Motivation zu stellen, weil Russland gegen die Ukraine einen hybriden Krieg führt. Dieser Krieg beschränkt sich nicht auf tatsächliche Kampfhandlungen. Desinformation, Propaganda und Cyberangriffe sind weitere Mittel in diesem Krieg. Und sie beschränken sich nicht auf die Ukraine selbst, sondern betreffen auch deren Verbündete.

Der russische Staat führt Desinformationskampagnen in und gegen Deutschland. Diese dienen der Destabilisierung der inneren Verhältnisse und der Verunsicherung strategischer Partner in der Welt. Zuletzt wurden durch das Auswärtige Amt 50.000 russische Fake-Accounts auf X aufgedeckt – und eine Videokonferenz führender deutscher Offiziere zur Frage der Taurus-Langstreckenraketen für die Ukraine abgehört und veröffentlicht.  

Was bedeutet das Joint Venture für die innere und äußere Sicherheit der Bundesrepublik? Kann das russische Regime die Kenntnisse aus der Kooperation nutzen, um der Bundesrepublik Deutschland zu schaden? Oder eigene außenpolitische Interessen durchzusetzen? Das Niedersächsische Umweltministerium hat hier jedenfalls keine triviale Entscheidung zu treffen.

Bereits im September letzten Jahres hat das amerikanische Unternehmen Westinghouse die ersten Brennelemente russischer Bauart in die Ukraine geliefert. Gefertigt in Schweden. Ohne russische Beteiligung. Was Westinghouse schafft, muss doch auch für ANF möglich sein? Im Lingener Umweltausschuss berichtete ANF auf Nachfrage, dass es zwischen ANF und Westinghouse einen starken Wettbewerb gebe. Das kann doch aber kein Grund sein, die sicherheitspolitischen Interessen der Bundesrepublik einfach zur Seite zu schieben?

Der Fall zeigt aber auch, wie dringend nötig es schon seit langem ist, dass sich die EU darauf verständigt, die Sanktionen gegen Russland auch auf die Atomwirtschaft auszudehnen. Die Ukraine fordert dies schon lange. Denn der Kauf von russischem Uran finanziert den Krieg gegen die Ukraine mit. Ein bisschen mehr europäische Weitsicht in der Sanktionsfrage wäre auch für Niedersachsen gut gewesen. Denn, wenn die Sanktionen sich auch auf die russische Atomwirtschaft beziehen würden, stünde eine Genehmigung mit einer derart sicherheitspolitischen Tragweite, wie sie das Niedersächsische Umweltministerium jetzt zu treffen hat, gar nicht zur Debatte.

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